Im Sommer 2025 werden meine Frau und ich umziehen in ein anderes Haus. Ein kleineres. Was also soll mitgenommen werden? Welcher der beiden Esstische? Ist noch Platz für die Kommode aus dem Familienerbe? Und welche Erinnerungsstücke aus dem Berufsleben? Am meisten graut mir vor der Auswahl der Bücher. Wir werden prüfen und entscheiden müssen.
„Prüft alles und behaltet das Gute!“, dazu ermuntert Paulus seine Glaubensgeschwister in der griechischen Hafenstadt Thessaloniki. Er hatte diese Gemeinde bei einem kurzen Besuch gegründet. Es läuft nicht schlecht dort. Aber mit der Zeit macht sich bei manchen Glaubensmüdigkeit breit, manche verlieren die Hoffnung, es kommt auch mal zum Streit untereinander. Das ist irgendwie zeitlos. Paulus schreibt seinen Brief, um der Gemeinde Mut zu machen und ihr Orientierung zu geben in dieser multikulturellen Stadt. Denn Thessaloniki ist ein Ort, an dem die unterschiedlichsten Menschen aufeinandertreffen. So wie es nicht nur in Hafenstädten bis zum heutigen Tag ist.
In diesem vielschichtigen Umfeld ermutigt Paulus zu einer großen inneren Freiheit. Einer Haltung, die weltoffen alles prüft und in Gelassenheit schaut, was lebensdienlich ist. „Behaltet das Gute!“ Paulus traut den jungen Christinnen und Christen ein eigenständiges Urteil zu.
Bei Paulus bezieht sich das Wort auf die Frage, wie Menschen vom Glauben und von Gott sprechen. Hier gilt: Es gibt keine engherzigen Denk- und Sprechverbote. Vielmehr eben: „Prüft alles und behaltet das Gute“. Es darf eine große Weite geben, wenn wir als Christenmenschen von unserem Glauben reden. Auch heute braucht es eine Freiheit, Worte zu suchen, mit denen wir zeitgemäß vom Glauben reden können. Nur traditionelle Formeln zu wiederholen, überzeugt niemanden. Aber dazu gehört auch die eigenverantwortliche und gemeinsame Wachsamkeit. „Prüft!“ Am Zeugnis der Bibel, am Zeugnis von Christus. Und: Zum Glauben gehört der wache Verstand. Gerade in Zeiten mancher fundamentalistischen Glaubensprediger: Wir brauchen geistige Wachsamkeit und einen aufgeklärten Glauben. „Prüft alles!“
Unsere Zeiten sind generell in hohem Maße plural. Von den Angeboten im Supermarkt bis zu Informationen im Internet, von verschiedensten Lebensstilen bis zu politischen Positionen. Dieses Überangebot kann arg anstrengend sein. Paulus ermutigt zur Gelassenheit: „Prüft alles und behaltet das Gute!“
Naiv und blauäugig darf das nicht sein. „Wach und nüchtern“ sollen Christenmenschen auf die Welt blicken. Gerade wenn manche auf komplizierte Fragen und Probleme vermeintlich einfache Antworten geben. „Prüft alles“. Das
hat dringliche Aktualität angesichts gefährlicher populistischer Tendenzen in unserem Land und einer wachsenden Zustimmung zu extremistischen Positionen. Das heißt auch ein klares „Nein“ zu allem, was das friedliche Zusammenleben und die Würde jedes einzelnen Menschen in Frage stellt. „Behaltet
das Gute“ – das kann nur das sein, was ein Zusammenleben in Frieden, Respekt und Würde fördert.
„Prüft alles und behaltet das Gute!“ Wie kommen wir in einer Welt, in der uns mehr Möglichkeiten als je zuvor zur Verfügung stehen, zu Entscheidungen? Was dient dem Leben? Welchem inneren Kompass folgen wir? Christinnen und Christen finden Orientierung im Vertrauen auf Gottes Liebe, die in Jesus Christus sichtbar geworden ist. Jesus hat uns gepredigt und auch vorgelebt, wie wahrhaftiges menschliches Handeln geht. An ihm und durch ihn können wir Orientierung finden. Entscheiden müssen wir gleichwohl selbst, in komplizierten Zeiten – in aller Freiheit, mit allem Risiko. Ohne Angst und in fröhlichem Gottvertrauen.
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Jahr 2025!
Ihr
Dr. Hans Christian Brandy
Regionalbischof für den Sprengel Stade